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Wenn Strickerinnen träumen

Anna aus Barcelona hatte einen Traum. Sie wollte ein eigenes Strickfestival organisieren. „Meine Freundin Marta und ich, wir hatten die Idee. Eine gemeinsame Freundin erzählte uns dann, dass Eva und Kiara aus dem Wollgeschäft Lalanalu denselben Plan hatten. Und so lernten wir uns kennen.“ Eva, Kiara, Marta und Anna sind die Organisatorinnen von Barcelona Knits. Dem ersten großen Strickfestival, dass in Spanien am 17. und 18. November stattfand.

„Es war so unglaublich viel Arbeit.“ erzählt Anna, “Und wir wussten ja nicht, ob es funktionieren würde. Vor einem Jahr haben wir angefangen zu planen, und wir hatten keine Ahnung, was auf uns zukommt. Wir waren auf dem Yarnfestival in Edinburgh und haben uns dort alles angesehen. Sozusagen als Inspiration.“

Und die hat offenbar gewirkt. Die vier Katalaninnen  haben tatsächlich das erste Strickfestival in Spanien auf die Beine gestellt.  Sie hatten bei möglichen workshop-Leiterinnen angefragt. „Die erste, die, von der Idee begeistert, zusagte, war Joji Locatelli, die Designerin aus Buenos Aires. Sie hat uns sehr ermutigt. Danach haben wir uns getraut bei anderen großen Namen anzufragen. Wir wollten unseren Besuchern auch etwas bieten. Ich glaube, die nächsten, die wir gefragt haben, waren Nancy Marchant und Julie Knits in Paris.“ erzählt Anna.

Und sie erzählt davon, wie überwältigt sie manchmal davon war, wie groß ihr Traum auf einmal wurde. „Wir haben ja alles mit unserem privaten Geld vorfinanziert: Die website, die location, alles. Wir wussten wirklich nicht, wie viele Besucherinnen kommen würden. Und es war schwer, in Barcelona geeignete, bezahlbare Räume zu finden.“

 

 

Im Stadtteil Poble Sec, in zwei nahe beieinander liegenden Co-Working Großraumbüros, ließen die Strick-Enthusiastinnen dann ihren Traum wirklich wahr werden. In der größeren der beiden locations fanden rund dreißig Aussteller Platz. In der kleineren immerhin eine Handvoll, dazu gab es dort Snacks und Kaffee. Was es nicht gab, war Platz. Denn alle kamen, die Super-Woll-Namen, die Handarbeits-Gurus und die Woll-Süchtigen aus aller Welt. Sie kamen zu den workshops, zur Knit-Night und sie wollten die Wolle sehen.

Sonntagmittag, als es langsam etwas ruhiger wird, findet Anna Zeit mir zu erklären: “Klar, es gab die Vorbestellungen aus dem Internet – da freuten wir uns jedes Mal, wenn wir sahen, dass Strickerinnen aus aller Welt zu uns kommen wollten. Aber dann stand am Samstag auf einmal diese lange Schlange vor der Tür: In den ersten drei Stunden kamen so viele Woll-Verrückte, wie wir für das ganze Wochenende gerechnet hatten. Und wir durften nicht alle hineinlassen. In den ersten Stunden hieß es immer wieder: Wegen Überfüllung geschlossen – das war schwer.“

 

 

Es hatten sich offenbar viele spontan auf den Weg nach Barcelona gemacht. Wer Samstagmorgen nicht unbedingt zwei Stunden in der Schlange stehen wollte, hatte immerhin die gute Alternative einen Stadtbummel in der liebenswerten Stadt Barcelona unternehmen zu können. Oder sich in das kleine Café an der Ecke zu setzen, das an diesem Wochenende sowieso zu einer Art ausgelagerten Kantine und Stricktreff wurde. Wer schon Freitag angereist war, hatte sich seine Eintrittsbändchen auch schon im Lalanalu abholen können. Allerdings gehörte ziemlich viel Chuzpe dazu, an der Schlange vorbeizugehen, cool sein Handgelenk mit dem Band vorzuzeigen und gleich einzutreten….

 

Wer es aber, früher oder später, reinschaffte, gelangte in ein Wollwunderland.

 

 

Textile Garden aus Großbritannien beispielsweise, war mit einer Auswahl an Knöpfen und Schließen zum Niederknien nach Barcelona gereist. Meine Strickfreundin aus Berlin gestand mir, dass sie eigentlich allein wegen dieses Standes hätte anreisen müssen. Was ich eigentlich ziemlich übertrieben fand. Wer kauft denn bitte Knöpfe, ohne zu wissen, welche Farbe das Strickstück und welche Größe die Knopflöcher haben? So dachte ich, bevor ich am Stand war. Und dann lagen da Knöpfe die so hinreißend waren, dass ich völlig wehrlos war. Es war schon recht unverschämt, einfach so wunderschöne Knöpfe mitzubringen und sie Nichts ahnenden Strickerinnen vor die Augen zu bringen. Da ist man dann doch machtlos.

Im Online-Shop hatte ich bisher noch keine Knöpfe gekauft. Die Qualität ist auf Fotos schwer zu beurteilen. Jetzt weiß ich aber, dass die Qualität wirklich gut ist: Die Motive sind mittig und zentriert zu den Knopflöchern angebracht (etwas, das bei den Knöpfen aus China oft Glückssache ist, da hatte ich einmal das Pech, dass bei 100 Knöpfen nicht fünf dabei waren, die wirklich zusammen passten und in Ordnung waren. Dann lohnt sich auch der supergünstige Preis nicht).

Auch eine Entdeckung: Rosa Pomar aus Lissabon. Ihre Sockenwolle war mir ein Begriff.  Es ist eines der wenigen Sockengarne ohne Nylon-Anteil. Meistens enthält Wolle für Socken einen 20-prozentigen Anteil an Polyacryl, um längere Haltbarkeit zu garantieren. Zudem sind sie mit einer superwash-Ausrüstung versehen, damit sie in der Waschmaschine gewaschen werden können.  Beides ist mit zunehmend ein Graus und ich versuche beim Woll-Kauf beides zu vermeiden. Die Silikone und anderen Chemikalien, die eingesetzt werden um die Wolle schmeichelweich zu machen, schaden letztlich mir und der Umwelt.

 

 

Mehr Spaß macht es, kreative Woll-Hersteller zu finden, die mit Schafzüchtern aus ihrer Region zusammenarbeiten. Und die mit ihrem Wissen die Eigenheiten jeder Schafrasse und die Geheimnisse der Wollherstellung nutzen, um möglichst weiche, haltbare und nachhaltige (Socken)-Wolle zu produzieren. Rosa Pomar macht genau das. Ihr Garn stammt ausschließlich von den vierzehn Schafrassen Portugals und wird in kleinen Betrieben nach hergebrachter Weise hergestellt. Notiz im Kopf: Unbedingt nach Lissabon fahren und den Laden ansehen!

Außerdem gefallen mir das Design ihres Labels und der Woll-Banderolen ausgesprochen gut. Die pfiffige, ansprechende Verpackung ist ein echter Kaufanreiz.

 

 

Dazu kommt die interessante Beobachtung, dass in Portugal anders gestrickt wird, als im englischsprachigen Raum bzw in Festland-Europa. Zuerst wird das Garn um den Hals gewunden und läuft, bei mehrfädigem Stricken, auch durch eine Art Sicherheitsnadel. Rosa zeigte mir ein paar Reihen und es erschien mir wie eine Mischung aus kontinentalem und englischem Stricken. Der Vorteil wurde mir erklärt, ich erinnere mich allerdings nur noch nebulös. Weitere Notiz im Kopf…

Und um das Paket noch abzurunden, gibt es sowohl neue, als auch traditionelle Strickmuster, die bei Retrosario verkauft werden. Das Sockenbuch gibt es bislang nur auf portugiesisch. Was mich aber nicht abgehalten hat, es mitzunehmen. Strickerinnen beherrschen schließlich ihre Fachsprache! Und wenn ich verzweifle, weil ich mich doch überschätzt habe, kann ich mich immer noch an den schönen Mustern erfreuen. Der Stand war meistens umlagert – absolut verständlich.

Ein weiterer Stand mit Kreischfaktor wurde bestückt von Marañuela Fibres. Genauer gesagt, von deren Nadelmaßen in Form von Dinosauriern, Einhörnern, Regenbogen und – den musste ich unbedingt mitnehmen, es war der letzte und einzige  – einem Dalek. Dr Who-Fans werden mich verstehen.

Sonntag war übrigens der Tag der lettischen Unabhängigkeit. Während einer kleinen Pause strickte ich meinen lettischen Handschuh und freute mich riesig, als ich sich drei Lettinnen zu mir setzten und wir über lettische Stricktraditionen plaudern konnten.

Nicht nur die spanische Strickszene ist sehr lebendig, in Spanien wird auch viel gehäkelt. Das fand ich erstaunlich. Erstaunlich auch, dass die gehäkelten Sachen die zu sehen waren, mit steifen Topflappen oder spießigen Häkelgardinen nichts zu tun hatten.

 

 

Von den Färberinnen mit ihrer exquisiten Wolle aus Irland, Paris, und den USA überzeugten mich letztere weniger – Wolle aus Australien, in der Türkei verarbeitet, dann an den US-amerikanischen Hersteller verschifft, der sie dann mitbrachte nach Spanien, ist nicht so mein Geschmack. –Die spanische, mit Naturfarben gefärbte Wolle von  Yarnitas umso mehr.

Auch die Wolle von Dlana war so ganz mein Fall: Esther und Javi verarbeiten Wolle vom besten spanischen Merino-Züchter Hermanos Sorosal de Mediana de Aragon.

 

 

Erstaunlich: Merinos verbreiteten sich über Spanien in Europa. Schon vor mehr als 3000 Jahren wurden sie ihrer Wolle wegen auf der iberischen Halbinsel gehalten. Das Königshaus des damaligen Königreichs Kastilien und der spanische Schafzüchterverband Mesta, verboten ein paar hundert Jahre später die Ausfuhr der Schafe unter Androhung der Todesstrafe. Die Wolle war eines der wichtigsten Exportgüter und die Tiere ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Wer eine so lange Erfahrung in der Zucht vorweisen kann, produziert auch wirklich gute Wolle.  Zwei Knäuel wanderten in meine Einkaufstasche. Die Wolle ist wunderbar weich und ich habe einen cowl davon gestrickt der nicht nur so weich ist, dass ich ihn direkt am Hals tragen kann, er hält auch im eisigen Berliner Wind gut warm.

Robledal de la Santa Mohair war einer der Aussteller, der mir ein Begriff war. Wer auf Instagram unterwegs ist, dem sind vielleicht die Bilder der spanischen Mohair-Ziegen schon begegnet. Ich bin ein großer Fan dieser kleinen Herde, und freue mich jedes Mal, wenn ein neues Bild von Valerie, Harriet, Pembroke oder wie sie alle heißen, auftaucht. Ihr Niedlichkeits-Faktor ist umwerfend hoch und ich wollte nun endlich ihre fertige Wolle kennenlernen. Denn die beiden Züchter, David und Juan, verarbeiten die Wolle ihrer Tiere und verkaufen sowohl die Mohair-Locken, als auch Mohair-Garn. Hier werden sie im spanischen Fernsehen vorgestellt.

Ich weiß nicht, wessen Enttäuschung größer war: meine, oder die von David und Juan. Denn sie waren zwar dabei, auf dem ersten spanischen Strickfestival, aber das Mohair-Wolle war es nicht. Die Mohair-Locken hatten es nach Barcelona geschafft. Aber das große Paket mit dem neuen Mohair-Garn war auf dem Weg von der Spinnerei irgendwo auf dem Postweg geblieben…

Dass ich ausgerechnet diese Wolle nicht sehen durfte, war wirklich schade.

 

 

Einen workshop habe ich mitgemacht. Von Julie knits in Paris lernte ich ein paar handfeste Tipps zum Brioche -Stricken. Der workshop war einer der entspanntesten und lustigsten, die ich je mitgemacht habe. Beim Thema: ‚Fehler im Brioche beheben‘ wartete jeder darauf, endlich einen Fehler zu machen, damit dieser in der Runde erklärt und behoben werden konnte – ein sehr witziger, entspannter Kurs-Ansatz.

Was gab es noch? Nun, wenn es etwas gab das fehlte, dann war es Platz. Platz um Mäntel und Taschen abzugeben, Platz, um sich zwischendurch einmal hinzusetzen, Platz um die Schlangen im Eingangsbereich besser zu organisieren und Platz zwischen den Ständen.

Aber wer denkt denn an so etwas Praktisches, wenn er träumt? Ich hoffe sehr, dass Anna, Marta, Eva und Kiara sich von den kleinen Problemen nicht abhalten lassen und ein zweites Barcelona Knits Festival abhalten. Und um ein wenig weiter zu träumen: die Wolle von den Mohair-Ziegen, die würde ich ja so gerne wirklich anfassen!

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