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Mein Nightshift-Shawl

Wie ich meinen Nightshift-Shawl verlor und wiederfand – Oder: In Berlin geschehen Wunder. Auf dem Weg zum Flughafen hatte ich mir mein neuestes Prachtstück umgeschlungen – den Nightshift-Shawl von Andrea Mowry. Es sollte zum Oslo-Strikkefestival gehen und klar, ein großer Teil des Spaßes bei solchen Ereignissen ist ja immer zu gucken was die anderen Strickerinnen tragen und zu zeigen was frau selbst in letzter Zeit so genadelt hat. An meinem ‚Nightshift‘ hatte ich den ganzen Sommer über gearbeitet und war soooo stolz drauf.

 

 

Gerade als ich also im September in die U-Bahn, die mich zum Flughafen bringen sollte, hüpfte, sich die Türen hinter mir schlossen und die U-Bahn anfuhr, merkte ich, dass mir mein Schal von den Schultern gerutscht war!

Es hatte garantiert nichts damit zu tun, dass ich etwas knapp dran war, der Mantel offen und neben dem Köfferchen noch eine Tasche über meiner Schulter baumelte. Es war einfach passiert. Der Schal musste irgendwie heruntergerutscht und auf dem U-Bahnsteig liegengeblieben sein. Denn auf dem U-Bahnboden lag er nicht.

Natürlich stieg ich an der nächsten Station sofort aus, nahm den nächsten Zug zurück an meine Ausgangsstation und suchte dort den Bahnsteig ab. Ich war in Panik. Erstens weil ich ja zum Flughafen musste (hatte ich schon erwähnt, dass ich spät dran war?), zweitens weil mein Prachtstück verschwunden war.  Auf dem Bahnsteig lag er nicht. Laut und leise fluchend flog ich also nach Oslo. Getröstet wurde ich sehr liebevoll von meiner Strickgruppe und der schönen Wolle, die ich auf dem Strikkefestival sah. Aber der Verlust nagte sehr.

 

 

Zurück in Berlin gestaltete ich als erstes ein kleines ‚Vermisst‘-Plakat und hängte es rund um den U-Bahnhof auf. Fünfundzwanzigmal klebte ich den Aushang an Laternenpfosten, in Geschäfte und an Ampeln. Die Resonanz war überwältigend: Der Tenor war zwar allgemein: Netter Versuch, aber Du glaubst nicht ernsthaft, dass Du etwas, was Du in einer Großstadt wie Berlin verloren hast, wiederfindest… Aber vor allem, auch über Instagram und Facebook, wurde ich richtig nett getröstet. Wildfremde Strickerinnen riefen mich an (Telefonnummer stand ja auf dem Zettel) um mir zu sagen wie sehr ihnen die Geschichte leidtäte, und ob ich ihnen die Anleitung verraten könnte, der Schal sei ja sooo schön. Eine Internetseite die sich auf Berliner Ereignisse spezialisiert hat, veröffentlichte den Aushang und eine besonders liebe Strickfreundin die mit mir in Estland an der Wolle gearbeitet hatte, bot an, mir ihre Wolle zu überlassen.

 

 

Ach ja, das hatte ich ja noch nicht erzählt. Der Schal war mir so ans Herz gewachsen, weil ich ihn vom rohen Vlies komplett selbst gemacht habe. In Viljandi, am Textil-Lehrstuhl der Universität von Tartu, durften wir im Sommer an die Maschinen und Wolle selber machen. Das war ungeheuer spannend. Denn hier habe ich erst richtig verstanden, an wie vielen Stellen des Produktionsprozesses es möglich ist, die Qualität des Endproduktes ‚Garn‘  zu beeinflussen. Davon muss ich noch einen eigenen Blog-Beitrag verfassen. Hier zeige ich nur ein paar Fotos, die die Entstehung meines Nightshift-Shawls zeigen.

 

 

Mehre Wochen vergingen und ich war gerade zur Woolweek auf Shetland, als nachts um ein Uhr mein Handy klingelte. Völlig verschlafen meldete mich und hörte: „Hallo, ich arbeite hier am U-Bahnhof. Ich bin zuständig für die Fliesen.“ Mehr als ein langgedehntes : „ Jaaaa???“ bekam ich nicht hervor. Was ich dann zu hören bekam ließ mich ruckartig wach werden. „Mein Kollege hat Ihren Aushang gesehen. Er meinte, es könnte vielleicht das Tuch sein, dass ich vor ein paar Wochen unten bei den Schienen gefunden habe.“

Offenbar war mein Nightshift zwischen Bahnsteigkante und U-Bahn auf das Gleisbett gerutscht. Wenn nicht zufällig die Bauarbeiten stattgefunden hätten, wäre er wahrscheinlich ewig nicht gefunden worden. Aber der junge Fliesenleger, hatte den Schal aufgehoben und im Kofferraum seines Autos ausgelegt um die verdreckten Mörteleimer darauf abzustellen. Egal! Ich war begeistert! Ich versprach den höchsten Finderlohn den ich mir vorstellen konnte. Ich schlug vor, dass ich etwas stricken würde. Die Begeisterung hielt sich sehr in Grenzen: „ Ach nee, das muss wirklich nicht sein.“ Na gut, damit konnte ich leben, Hauptsache mein Schal war gerettet. Wir verabredeten uns und als mein Mann morgens fragte, was das für ein Anruf in der Nacht gewesen war konnte ich ihm fröhlich mitteilen, dass ich mich in der Nacht nach unserer Heimkunft von Shetland, um ein Uhr (dann war nämlich Arbeitsbeginn) auf dem U-Bahnhof, mit einem jungen Fliesenleger verabredet hatte.

 

 

Als Finderlohn brachte ich eine Flasche Gin aus Schottland mit und dann holte der entzückende junge Mann mein Prachtstück aus dem Kofferraum. Es klebten einige Mörtelstücke daran, aber ich war dem jungen Mann so dankbar.   Wie wunderbar, dass er angerufen hatte, wie wunderbar, dass der Kollege den Aushang gesehen und sich an den Fund erinnert hatte, wie wunderbar, dass gerade an dieser Stelle Bauarbeiten stattfanden. Ich bin überzeugt, dass in Berlin Wunder geschehen können.

 

 

 

 

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