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Wie erkenne ich gute Wolle?

Diese Woche fragte mich eine junge Strickerin nach einer einfachen Strickanleitung für einen Pullover. Ich bin begeistert von ihrer Frage, denn sie zeugt von einigem Mumm. Nicht viele Anfängerinnen trauen sich einen Pullover zu, die meisten beginnen eher mit einem Schal, einer Mütze oder einem Loop. Besonders zur Auswahl der Wolle gibt es für eine neuen Strickerin so viel zu wissen, dass ich mit einem öffentlichen Brief antworte :

Liebe Paula,

wir kennen uns nicht persönlich, sondern über ein paar Ecken. Du hast mich per Mail kontaktiert und nach einer Strickanleitung für einen einfachen Pullover gefragt. Ich hatte Dir darauf auch schon geantwortet und dir passende Anleitungen geschickt. Doch bereits kurz nach meiner Antwort ist mir noch ein ungemein wichtiger Punkt eingefallen, den ich vergessen hatte. Ein paar Stunden später hatte ich eine ganze Liste mit Informationen, Tipps und Gedanken, ohne die eine Neuankömmling in der Wollwelt meiner Meinung nach nicht leben sollte. Da ich nicht aufdringlich sein wollte und dein Postfach alle zwei Stunden mit einer weiteren, wolligen Mail verstopfen wollte, hier nun ganz kurz zusammengefasst was ich Dir noch unbedingt mit auf den Weg geben wollte:

Wolle ist nicht gleich Wolle

Wenn Du in einem Wollgeschäft stehst oder Online nach Wolle suchst, scheint die Auswahl unendlich. Aber es gibt ein paar verlässliche Kriterien, die Dir helfen, das richtige Garn zu finden. Zum einen solltest Du nicht die billigste Wolle nehmen. Denn jetzt zu sagen: „Ich bin doch gar keine gute Strickerin, wahrscheinlich wird mein Anfänger-Pulli eh nicht so gut, da kann es ruhig eine billige/minderwertige Wolle sein“, wäre falsch. Du verbringst mit dem Stricken Deines Pullis viele Stunden. Du sitzt entspannt auf dem Sofa und solltest Deine Hände mit einem guten und angenehm anzufassenden Material versorgen. Gute Wolle ist ein Geschenk, dass Du Dir selber machst, weil es einfach mehr Freude macht, mit guten Materialien zu arbeiten.

 

 

Billige Wolle, und damit meine ich vor allem Strickgarn aus Acryl, sieht nach mehrmaligem Waschen gruselig aus! Das ist sehr ärgerlich und schade um die Mühe, die Du investiert hast. Es ist doch schade, wenn Du das gute Stück nach sechs Monaten in den Müll werfen würdest. Einen Pullover oder auch einen Schal aus einer guten Wolle trägst Du hingegen leicht mehrere Winter. Die Wolle ist also eine echte Investition. Und damit auch ein Schritt zu einer veränderten Konsumkultur. Wusstest Du, dass vierzig Prozent der Kleidung die wir kaufen, selten oder nie getragen wird? Schreibt zumindest Greenpeace. Der Bund Naturschutz rechnet mit neunzehn bis fünfzig Prozent. Wenn Du Dir einen Pullover selber strickst, hast Du nicht nur ein individuelles, einzigartiges Kleidungsstück im Schrank, Du schlägst auch der Wegwerf-Gesellschaft ein Schnippchen.

Außerdem vergrößert man mit dem Kunstfaser-Anteil von ‚Wolle‘ den Berg an Plastikmüll, beziehungsweise die Mikroplastik-Verschmutzung des Meeres. Gerade wir Strickerinnen haben die Möglichkeit etwas dagegen zu tun, indem wir reine Wolle kaufen.

Hinzu kommt, dass die Eigenschaften von Schurwolle phänomenal sind. Sie nimmt bis zu dreißig Prozent ihres Eigengewichtes an Feuchtigkeit auf ohne sich nass anzufühlen. Sie speichert in ihrer Kräuselung Wärme und gibt überschüssige Wärme an die kühlere Außenluft ab. Du schwitzt also nicht, wirst aber noch gut gewärmt.

Wolle reinigt sich selbst, lüften reicht. Ehrlich! Wollfasern sind so beschaffen, dass sie schmutzabweisend sind.

 

 

Für ein Garn aus hundertprozentiger Wolle habe ich Dich nun hoffentlich schon überzeugt. Doch hier hört es noch lange nicht auf. Denn auch reine Schurwolle kann unter fragwürdigen Umständen produziert worden sein. Hier ist Merinowolle ein Paradebeispiel.

Du, als Bergebegeisterte, hast vielleicht auch schon das immer größer werdende Angebot an Jacken, Mützen und Funktionsunterwäsche aus Wolle bemerkt. Nicht nur, weil das eine herrlich kuschelige Angelegenheit ist, sondern wegen der hervorragenden Eigenschaften von Wollfasern. Und besonders die Merino-Schafe liefern eine sehr gute Wolle, die Fasern sind lang, mit einer wunderbaren Kräuselung und sie lassen sich hervorragend verspinnen.

Doch damit die Textilindustrie große Mengen in immer gleicher Qualität erhält, kommt deren Wolle zumeist von den australischen Merino-Schafen. Die australischen Schafzüchter versorgen den Weltmarkt mit Wolle. Doch Massentierhaltung bringt immer Probleme mit sich. Schafe sind anfällig für Parasiten. Deswegen werden sie gerne in Pestizid-Bäder geschickt. Und es gibt eine Praxis, das sogenannte ‚Mulesing‘, bei der jungen Schafen ohne Betäubung der Schwanz kupiert wird. Das heißt, dass ein Teil des Schwanzes und die Haut darum ohne Betäubung abgeschnitten werden. Das geschieht, weil es in Australien eine Fliegensorte gibt, die ihre Maden gerne gerade an dieser Stelle ablegt und die Tiere dann mit ihren Maden ganz fürchterlich plagt. Die Rechnung: Kein Schwanz = keine Maden, halte ich allerding für grausam. Sicher möchte jeder australische Schafhalter das Beste für seine Tiere. Und sowohl die Pestizid-Bäder als auch das Mulesing helfen letztendlich den Schafen auch in der Masse „gesund“ zu bleiben und gute Wolle abzuliefern. Aber wenn ich die Wahl habe, dann verzichte ich lieber auf derart produzierte Wolle.

Das heißt, auch die Produktionsumstände sollte man beim Kauf im Kopf haben. Denn nicht nur die Textilindustrie, auch die großen Garn-Hersteller verarbeiten die australische Wolle. Aber zum Glück haben wir die Wahl, denn es gibt eine wunderbare Alternative: Regionale Wolle.

 

 

Es gibt viele europäische Schafrassen, manche sind sogar vom Aussterben bedroht. Vom Schwarzen Bergschaf lebten beispielsweise 2016 nur noch 170 Tiere. Vom Coburger Fuchsschaf 2013 nur noch etwa 4000. Dabei hat gerade deren Wolle eine sehr schöne Färbung. Davon abgesehen, dass Du mit dem Kauf dieser Wolle etwas für den Erhalt der Artenvielfalt tust, unterstützt Du auch die regionalen Ökosysteme, zu denen Schafe gehören. Sie halten auf der Heide den Baumwuchs niedrig und weiden Deiche oder Almwiesen ab, die sonst schlecht gemäht werden können.

Es gibt eine große Vielfalt wie Merinoschafe, Shetlands, Wensleydales und andere Rassen die von Schäfern in Deiner Gegend gehalten und von kleinen Wollherstellern verarbeitet werden. Einen davon, Schafwolle Höfer, habe ich hier vorgestellt.

Du hast geschrieben, Du reist demnächst für ein Auslandssemester nach Rumänien – auch von dort kommt eine interessante Wolle: Moeke Yarns. Über die habe ich hier geschrieben https://wollwaerts.eu/2018/06/13/die-neue-aus-rumaenien/

Es gibt noch viele andere dieser kleinen Unternehmen, die ganz besondere Wolle herstellen. In Wollgeschäften musst Du vielleicht erst etwas suchen, bevor Du sie findest. Ich denke aber, dass es sich lohnt.

Jetzt kommt noch etwas zur Pflege.

Denn wenn es doch einmal so weit sein sollte, dass Du nach der xtenWanderung, Lagerfeuerabend und Boulderpartie den Pullover hinstellen kannst: Na, dann wird es nun mal Zeit für eine Handwäsche. Wenn gerade kein Wollwaschmittel zur Hand ist, dann kannst Du Deinen Wollpulli durchaus auch mit einem milden Shampoo waschen. Zugegeben, es macht etwas Arbeit: Meine guten Stücke wasche ich mit der Hand, drücke das Wasser in einem Handtuch aus und lege sie zum Trocknen dann an einen luftigen Ort. Die nicht ganz so edlen Teile wandern auch bei mir in den Wollwaschgang der Waschmaschine. Einmal im Jahr halten die das aus.

Wolle ist empfindlich gegen Seife. Wenn Du schon einmal gefilzt hast, dann weißt Du was passiert, wenn Wolle mit Seife, warmem Wasser und Bewegung konfrontiert wird. Sie verfilzt. Da Du Deinen Pulli ja schonend gewaschen hast, ist das für Dich kein Problem. Aber die großen Woll-Hersteller wollen es ihrer Kundschaft so einfach wie möglich machen und statten ihre Garne mit einer ‚superwash-Ausrüstung‘ aus. Dahinter versteckt sich viel Chemie, Silikone und Kunstharze. Dabei muss das gar nicht sein. Ich bin der Meinung, dass ein Kleidungsstück, das wir auf der Haut tragen, mit so wenig Chemie wie möglich behandelt sein sollte. Darum sollte auf der Banderole der Wolle nicht ‚superwash‘ stehen.

 

 

So das waren die jetzt die wichtigsten Punkte und Gedanken. Ich freue mich sehr, über weitere Anfragen und Nachfragen, die Dir noch einfallen. Ansonsten drücke ich dir die Daumen und die Stricknadeln und wünsche Dir, dass du viel Spaß mit deinem ersten Pullover haben wirst. Allerdings habe ich da keine Bedenken.

Denn, wir Strickerinnen wissen: Wolle ist die Lösung – für einige Umweltprobleme wie Müllberge, Mikroplastik in den Meeren und vergiftete Ökosysteme. Und Du, liebe Paula, bist eine Welt-Retterin. Weil Du strickst.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf Anna antworten

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  1. Marie

    Toller Eintrag – hat mir auf jedenfalls weitergeholfen:) Allerdings sind mir beim Lesen viele weitere Fragen gekommen. Welches Waschmittel könntest du den empfehlen, wenn man sich gezwungenermaßen die Mühe einer Handwäsche machen muss? Liebe Grüße, Marie

    Hallo Marie, wie schön, dass ich auf dem Woll-Weg weiterhelfen konnte 😉
    Deine Frage nach dem Wollwaschmittel kann ich hier nicht beantworten, weil ich keine Markennamen nennen darf. Wenn Du magst, dann schreib‘ mir doch Deine Mail-Adresse, dann kann ich Dir antworten. Vielleicht kannst Du dann auch noch die eine oder andere Frage, die Du hast, loswerden. Freue mich auf Deine mail, Claudia

  2. Anna

    Mir fehlt bei „guter“ Wolle was zum Thema „ply“. Ich hab den Anfängerfehler gemacht, eine total lose Lana Grossa Weekend (Merino/Alpaka) zu kaufen, die sich quasi beim Anschauen auflöst und so fürchterlich haart, als hätte ich 3 Hunde im Haus.

    • Claudia Krischer

      Hallo Anna, das ist eine gute Frage. Habe auch gerade eine Wolle von einer Spinnerin gekauft, die sich sehr lose und locker anfühlt. Werde da etwas weiter recherchieren und dann berichten.

    • Claudia Krischer

      Eine Überlegung die mich zur Zeit auch beschäftigt. Ebenfalls einen viiieeel längeren Beitrag wert. Kurz gesagt: Fast jede übliche Sockenwolle hat einen Polyamid-Anteil, weil Socken ja doch sehr stark beansprucht werden. Um diesen ‚Plastik‘-Anteil zu vermeiden sollte für Socken die Wolle etwas stärker gedreht sein und/oder etwas widerstandsfähiger sein (unterschiedliche Schafrassen = unterschiedliche Wollqualität) wie beispielsweise Mohair und/oder gleich beim Stricken etwas verstärkt werden.

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