„Oh du strickst selber? Toll, das hat meine Oma auch immer gemacht.“ Wer als Strickbegeisterter nicht mindestens einmal diesen Satz gehört hat, redet definitiv zu wenig über seine Leidenschaft oder strickt zu selten in der Öffentlichkeit. Dass Handarbeit so vielen als kurioses Überbleibsel früherer Generationen gilt, ist jammerschade. Ich gebe ja zu, dass handgestrickte Wollsocken eine andere modische Aussage vermitteln als das kleine Schwarze von Chanel. Allerdings: Auch die Socken sind Klassiker. Die Sprache der Mode adelt sie als „it pieces“. Schon wahr, auf den Laufstegen dieser Welt gehören Wollsocken zu den Exoten. Wer aber glaubt, dass Stricksachen out sind, liegt falsch.
Auf der fashion week, die diese Woche in Berlin stattgefunden hat, konnte ich mich davon überzeugen. Bei heftigem Schneeregen machte ich mich auf den Weg ins Kronprinzenpalais. Dort hieß es: ‚Let’s talk about wool’. Da ließ ich mich nicht zwei Mal bitten, Wollsocken an und los gings.
The woolmark company, die schon 1939 als Vermarktungsinstrument für die australische Wollindustrie gegründet wurde, betrachtet Deutschland nicht als ihren heißesten Markt. Das wurde mir spätestens klar, als ich feststellte, dass die Australier nicht einmal einen deutschen Wikipedia-Eintrag haben.
Modemetropolen wie London und Mailand zählen für die woolmark company mehr. Denen geht es nämlich darum, große Mengen australischer Merinowolle zu verkaufen. Dafür muss die Modeindustrie überzeugt werden, Wolle zu verwenden. Im ‚wool-lab’ beispielsweise setzen Experten die Trends der kommenden Saison in stimmungsvolle Bilder sowie die passenden (Woll-)Stoffe um. Diese moodboards werden von der Modeindustrie angefragt und dann in Kleidung umgesetzt. Woolmark will das Thema Wolle wieder modisch machsen. Durch Veranstaltungen wie den Woolmark-Modepreis der vergangene Woche auf der Pitti Uomo an die indische Designerin Ruchika Sachdeva mit ihrem Label Bodice verliehen wurde. Auch die trendy inszenierte woolmark Podiumsdiskussion in Berlin sollte für die Ware Wolle werben.
Im ersten Stock des Kronprinzenpalais’ moderierte Modejournalistin Melissa Drier und schwärmt von dem Armani-Anzug aus edlem Woll-Tuch, in dem sie geheiratet hat.
Das Gäste-Duo auf dem linken Sofa waren die beiden Macher hinter dem Damenmode-Label Odeeh. Otto Drögsler und Jörg Ehrlich waren sich einig, dass Wolle zur Zeit einen Nerv trifft: “Die Sehnsucht nach etwas Nicht-Technischem wird von Wolle gestillt.“
Auf dem rechten Sofa saßen Nadine Baier und Arendt van Dyke vom Münchener Sportmode-Label Aeance . Sie erkannten eine Marktlücke zwischen Mode und Funktionskleidung: Athleisure ist das Trendthema. Ihre Kollektion besteht zu einem großen Teil aus Merinowolle. Die Vorteile von Wolle sind für sie zum einen technisch: Wolle transportiert und speichert Feuchtigkeit besser als andere Materialien. Zum anderen zeigen sich die beiden von den ökologischen Aspekten der Wolle begeistert. Nadine Baier sagte aber: „ Es gibt Nachholbedarf beim Wissen darum was Wolle alles kann.“
Im Großen und Ganzen ist der Wolljunkie auf meiner linken Schulter natürlich sehr glücklich, dass auch bei großen und angesagten Events wie der Berliner fashion week über Wolle geredet wird. Von wegen Wolle ist altbacken. Aber bald erscheint rechts auch mein bewusster, nachhaltiger Wollliebhaber und zieht die Augenbrauen skeptisch hoch. Moodboards? Australien? Natürlich ist es spannend zu sehen, welchen Aufwand woolmark betreibt, um das Thema Wolle bei möglichen Kunden in die Köpfe zu bringen.
Ich finde es allerdings ein wenig bedauerlich, dass eine Marketing-Firma aus Australien herkommen muss um den Deutschen zu erklären, wie toll Wolle ist. Vielleicht führt der Trend zu Regionalität und Nachhaltigkeit, zusammen mit dem Hygge-Thema dazu, dass Wolle stärker ins Bewusstsein rückt und auch europäische Wolle nachgefragt wird. Und ganz vielleicht gibt es in Zukunft mehr wollige „it pieces“ auf den Laufstegen. Wollsocken sind zumindest bequemer als High Heels.