Hier geht es tatsächlich um Friedrich Hölderlin und seine wollenen Strümpfe. Und darum, dass ganz großartige Menschen auch ganz kleine, normale Probleme haben. Alltägliche Kleinigkeiten, wie die besagten Wollstrümpfe, machen eine historische Gestalt begreiflicher und bringen sie uns näher. Dann ist da auf einmal ein Mensch, dem es sowieso nicht so gut geht, der morgens auf seinem Stuhl sitzt und klagt, weil nun auch noch die Winterstrümpfe aus Wolle so kratzen.
Vor 250 Jahren, am 20. März 1770, wurde Friedrich Hölderlin geboren. Wäre nicht diese Corona-Pandemie passiert, hätte es großartige Veranstaltungen gegeben um den Geburtstag zu feiern. Und vielleicht wäre etwas von diesem, ein wenig entrückten, Genie in unseren Alltag gedrungen.
Und mein Mann Markus und ich hätten großartige Veranstaltungen besuchen können. Wir wären dabei gewesen. Für die Hölderlin-Tagung im Geburtsort Lauffen hätten wir Karten gehabt.
Hätte, hätte Fahrradkette. Über diese Corona-Geschichte möchte ich hier gar nicht schreiben.
Wir besuchten einfach, sobald es irgendwie möglich war, die wichtigen Lebensorte Hölderlins in Baden-Württemberg und Frankfurt. In Tübingen den neu renovierten Turm, in Lauffen das Geburtshaus, in Maulbronn und Nürtingen seine Schulen.
Der Turm ist sehr licht, weiß gestrichen, sogar die Treppen, mit Zitaten und vielen Hör- und Sprechproben, die per Hand aktiviert werden. Es gibt eine Sprachwerkstatt, in der selbst probiert werden kann und in der an den Wänden wichtige sprachliche Stilmittel erklärt werden.
Das Geburtshaus in Lauffen wurde eigens für das Jubiläum zu einem Museum umgebaut. In Nürtingen gibt es im Museum zwei Ausstellungen, von denen eine ganz besonders war. Hier wurden Teile der Pflegschaftsakte Hölderlins gezeigt. Da er geistig verwirrt, aber vermögend war, übernahm nach dem Tod seiner Mutter die Stadt die Pflegschaft. Darum liegen die Akten hier. Ernst Zimmer, Schreiner in Tübingen, nahm den Patienten Friedrich Hölderlin bei sich auf und berichtete der Familie vom Zustand des Pfleglings und allen Ausgaben. Allein die Auflistung dessen, was damals als nötig erachtet wurde hat mich gefesselt.
Richtig umgehauen hat mich dann aber die Vitrine 14: ‚Gegen Winterstrümpfe hat er immer einen Widerwillen‘. Offenbar mochte Hölderlin die Winterstrümpfe nicht anziehen. Und offenbar war es an der Schwester Heinrica – die „liebe Rieke“, ihm Strümpfe zu stopfen ( war aber nicht nötig, wie ich lesen konnte) und ihm zu Weihnachten ein Paar neue Wollstrümpfe zu stricken. Wenn das nicht entzückend ist!
Baden-Württemberg ist Hölderlin-Land. Aber es ist auch ein Woll-Land. Die wichtigsten deutschen Woll-Hersteller sitzen hier: Schoeller-Stahl in Süßen, Schachenmayr in Salach, Opal Zwerger in Hechingen und Schoppel in Wallhausen. Das ist schon interessant, wie es zu dieser Ballung kam und warum alle bis zum heutigen Tag hier geblieben sind. Opal Zwerger hatte ich ja schon besucht und hier davon berichtet.
Aber von Schoppel werde ich in einem eigenen Beitrag berichten, denn es gibt tatsächlich einen Herrn Schoppel, dem diese Wollherstellung gehört. Das Wort ‚Fabrik‘ möchte ich in dem Zusammenhang gar nicht benutzen. Und er hat ein ganz besonders Konzept von dem ich berichten möchte. Mir ist auf jeden Fall im Fabrikverkauf in Wallhausen die Kinnlade nach unten geklappt und ich habe eine ganze Weile mit offenem Mund staunend dort herumgestanden. Eine kompetente und freundliche Kundenberaterin gab es auch. Mein Mann musste mich nach geraumer Zeit nahezu gewaltsam aus dem Geschäft herauszerren. Aber davon später.