Edinburgh ist immer eine Reise wert. Wer die Gelegenheit hat, auch noch das Yarn Festival zu besuchen, bekommt etwas Besonderes geboten. Das Festival in Edinburgh ist bezaubernd, nicht nur, weil es am Geburtsort von Harry Potter stattfindet. Es findet sich so viel von der Atmosphäre der Stadt in den Texten wieder, dass wiederum ein Spaziergang durch die Straßen an die Geschichten erinnert. Ich bin ja ein großer Fan und finde, dass die Bücher an keinem anderen Ort der Welt hätten entstehen können.
Die Organisation des Strickereignisses mutet zwar magisch an, ist aber das Ergebnis von viel Arbeit und perfektionistischer Planung. Beispielsweise gibt es drei Zeitfenster für den Eintritt: Ab 9 Uhr dürfen die Teilnehmerinne von workshops den Markt besuchen, damit sie Zeit für Einkäufe haben, bevor ihre Kurse beginnen. Um 10 Uhr wird dann die Tür für diejenigen geöffnet, die schon vor Wochen ihre Eintrittskarten im Internet gekauft hatten. Es bildet sich zwar eine lange Warteschlange, bei mir dauerte die Wartezeit jeweils eine halbe Stunde. Aber die Zeit wird verkürzt durch das nette Geplauder mit den anderen Wartenden. Währenddessen gehen Helferinnen die Schlange entlang und tauschen die mitgebrachten und ausgedruckten Tickets in Armbänder um. Wenn dann die Türen öffnen, wedeln alle fröhlich mit dem erhobenen Arm und dürfen so an den strengen Türstehern vorbeiziehen.
An der dritten Warteschlange, für den Eintritt um 11 Uhr, reihen sich alle Spontan-Besucher ein. Es funktioniert ziemlich reibungslos.
Drinnen geht es dann zur Garderobe, vorbei am Infostand und dann war zumindest ich erst einmal für zwei Stunden abgetaucht in eine Woll-Welt der ganz besonderen Art. Hier auf dem Edinburgh Yarnfestival (EYF) sind die vielen kleineren, zumeist britischen Woll-Hersteller, -Färber und Strick-Designer vertreten. Die Qualität der Wolle ist ziemlich exquisit. Allein von den Shetland-Inseln sind vier Produzenten vertreten: Jamiesons of Shetland, Jamiesons & Smith, Shetland Handspun und der Uradale-Farm; vom fünften shetländischen Hersteller, von Foula-Wool konnte zumindest Wolle für ein bestimmtes Projekt bestellt werden. Zu den Ritualen des EYF gehört es nämlich, dass hier der Patron der Shetland Woolweek bekanntgeben wird. In diesem Jahr ist es tatsächlich ein Patron: Es ist Oliver Henry! Der absolute Woll-Guru von Woolweek-Mitbegründer Jamiesons&Smith. Zu ihm schreibe ich später einen eigenen Blog-Beitrag. Erst einmal ist wichtig, dass zum Patron ein speziell entworfenes Mützenmuster gehört. Das natürlich mit Wolle von den Shetlands gestrickt werden sollte. Viele Besucherinnen haben sich sofort mit entsprechender Wolle eingedeckt.
Es waren viele bekannte Wollmarken wie La Bien Aimée, Stephen & Penelope und Brooklyn Tweed da, aber auch neue Designer mit ihrer Wolle wie Biches & Buches oder Uschititia.
Knapp hundert Aussteller stehen in den drei Räumen. Nach etwa der Hälfte sah ich nur noch Wolle und brauchte dringend eine Pause und einen Kaffee.
Neben Kaffee, Tee und den gemein guten Karamell-Shortbread gab es auch eine gesunde Imbiss-Variante in Gestalt einer Gemüse-Suppe. Zum Glück ist es ein weiteres angenehmes Merkmal des EYF, dass es wirklich viele Sitzgelegenheiten gibt.
Besonders hatte ich mich in diesem Jahr darauf gefreut, die Färberin und Textil-Künstlerin Lindsay Roberts, aka Border Tart, kennenzulernen. Von und mit ihr gibt es nämlich ganz besondere Pläne. Und so wurden bei einer Tasse Kaffee Reisepläne geschmiedet. Nun freue ich mich also ganz narrisch darauf, bei ihrer Web-Druck-Färbe, kurz, Textil-Reise nach Indien im nächsten Januar dabei zu sein!
Im Sitzen war es dann auch praktischer einen Blick in das kostenlose Festival-Magazin zu werfen. Eine Festival-Anleitung, Frühlings-Stulpen, ist darin enthalten. Was sehr praktisch ist für das einsame Knäuel, das ich unbedingt mitnehmen musste ohne bisher einen Plan zu haben was ich daraus stricken könnte. Die beiden EYF-Organisatorinnen, Jo und Mica, haben wirklich an so Vieles gedacht! Dann gibt es amüsante und treffende Zeichnungen der talentierten Illustratorin Katie Green, die absolut sehenswert sind. Und im Mittelteil ein Schafrassen-Poster, das mich begeistert hat! Es gibt tatsächlich 72 verschiedene britische Schafrassen und sie alle sind liebevoll gezeichnet auf diesem Poster zu sehen. Die Person, die auf so eine Idee kommt und was dahinter steckt möchte ich jetzt unbedingt wissen. Inzwischen hatte ich auch wieder neue Kräfte gesammelt und so machte mich auf zur Woll-Forscherin, TheWoolist, Zoe Fletcher.
Wie sie auf die Idee gekommen ist, sich so intensiv mit britischen Schafen zu befassen, fragte ich sie an ihrem Stand. Ursprünglich habe sie sich mit Textilien beschäftigt, erklärte sie mir, am liebsten mit Gestricktem. Aber warum manche Wolle anders ist als andere konnte ihr, auch an der Uni, keiner richtig erklären. So sammelte und verglich sie Wolle verschiedener Schafrassen. Die Wollfasern, so zeigt sie mir nun, unterscheiden sich, so wie das Aussehen und die Lebensbedingungen der Schafe. Zoe hat in ihrem vierjährigen phD jede der 72 reinrassigen britischen Schafrassen akribisch untersucht. Jede Rasse ist nicht nur mit einer niedlichen Holzfigur und einem Beispiel-Strang vertreten, sondern mit einem ganzen Kriterienkatalog, den sie erarbeitet hat und anhand dessen nun erstmals die Wolle in ihrer Bandbreite verglichen werden kann. Spannend waren besonders die Aufnahmen des Elektronen-Mikroskops, auf denen sich das, was wie zwei gleiche Wollhaare aussieht, in der Nah-Aufnahme völlig unterschiedlich zeigte. Klar, dass sich zwei so verschiedene Fasern dann in der Verarbeitung auch anders verhalten. Die ganze Arbeit ist so umfangreich, dass ich mich damit noch in aller Ruhe beschäftigen möchte.
Zwei deutsche Stände habe ich auch besucht: Christine von Rauwerk, die aus München mit ihrer ersten Kollektion deutscher Merino-Wolle kam und die Wollmeise aus Pfaffenhofen, die in diesem Jahr nicht nur die Strickfestivals in Leipzig, sondern auch in Düsseldorf, Osnabrück und Fanø besuchen wird.
Bei einem Besuch in Edinburgh sollte der Weg unbedingt in zwei Museen führen: In der Portrait-Gallery gefallen mir nicht nur die Portraits berühmter Schotten (viele davon zeitgenössisch, wie das tolle Portrait von Tilda Swinton), auch die malerische Buchhandlung im zweiten Stock und die wirklich gute Caféteria gehören zu meinen Favoriten.
Im Hauptgebäude des Schottische Nationalmuseum fasziniert die für deutsche Besucher unkonventionelle, aber sehr reizvolle Zurschaustellung der Objekte. Im modernen Nebengebäude stehen die ältesten europäischen Schachfiguren. Die ‚chessmen‘ wurden auf der Insel Lewis gefunden, die zu den Äußeren Hebriden gehört. Sowohl ihre Entstehungs- als auch ihre Fund-Geschichte sind ungeklärt und sagenumwoben. Vermutlich im 12.Jahrhundert in Norwegen aus Walrosszähnen geschnitzt, liebe ich besonders die Türme, von denen einige die Gestalt von wilden Kriegern, Berserkern, haben, die in ihre Schilde beißen. Auch an Harry Potter musste ich hier wieder denken: Die Dame der Schachpartie in ‚Harry Potter und der Stein der Weisen‘ ist den Lewis-Chessmen nachgebildet. Wie gesagt – in keiner anderen Stadt hätte die Harry Potter-Geschichte, so wie sie ist, entstehen können. Und dann gibt es hier auch noch so ein magisches Woll-Festival!