„100 Prozent Wolle“ klang so hundertprozentig nach einer Ausstellung, die ich sehen wollte, dass ich mich trotz Umzug und Weihnachtsvorbereitung noch im Dezember auf den Weg nach Berlin-Dahlem machte. Im Museum Europäischer Kulturen ist dort nämlich seit dem 5. November eine Sonder-Ausstellung unter diesem Motto zu sehen.
Über dem Zugang im rechten Seitenflügel hängt wie ein Segel eine großes, rotes Strickstück. In den neu hergerichteten Räumen riecht es fast noch nach frischer Farbe. Es ist hell und freundlich. Je zwei große Elemente bestimmen jeweils die beiden Räume: Ein gigantisches liegendes Schaf auf der rechten Querseite begrüßt die Besucher im ersten Raum. Links dahinter, am Kopfende des Raumes, eine Art Jurte auf die Schäferbilder projiziert werden. Hier soll es um den Ursprung der Wolle gehen. Ein Schaubild mit verschiedenen europäischen Schafrassen steht gegenüber dem Wimmel-Bild: ‚Schafe auf dem Land – Schafe in der Stadt’.
Aber wie die Lebensweise von Hirten und Schafen in Europa aussieht, wird mittels eines Films, einer alten Schere und eines Schäfermantels dargestellt.
Im zweiten Raum stehen mittig Tische und eine u-förmige Insel aus rohen Holzplatten, darauf liegen Wollknäuel, Strick- und Häkelnadeln sowie kleine Bildschirme auf denen Grundtechniken des Strickens und Häkelns auf Deutsch und auf Englisch erklärt werden. Darüber, hoch an der Decke und nach Farben sortiert, sind verschiedene moderne Kleidungsstücke zu sehen, von denen manchmal Etiketten und Kopfhörer nach unten hängen.
In einigen Vitrinen an den Wänden sind historische Werkzeuge wie Spindeln oder Weberschiffchen zu sehen. Hier soll es um die Verarbeitung der Wolle gehen, wie Piktogramme an den Wänden zeigen. Spätestens hier frage ich mich, für wen die Ausstellung konzipiert ist.
Wolle gibt der Ausstellung den Titel, aber ich erfahre beispielsweise nichts über den Aufbau eines Haares, (so es etwa im Textilmuseum Augsburg zu sehen ist), wie und wo und wie viele Schafe in Europa leben und von wem und wo Wolle heute überhaupt noch verarbeitet wird. Die unterschiedlichen traditionellen Verarbeitungsmöglichkeiten von Wolle werden schüchtern in wenigen Exponaten gezeigt. Obwohl doch im Magazin tausende von Schaustücken lagern. Immerhin wird es meine craft-camp-Freundin Katrin freuen, dass auf einen Webstuhl gespannt ein halbfertiger Freester Fischerteppich zu sehen ist. Diese Teppiche haben eine interessante Geschichte. Das weiß ich aber nur, weil Katrin mir vergangenen Sommer davon erzählt hat. Darüber werde ich in einem eigenen Blog-Beitrag berichten. Hier in der Ausstellung steht dazu jedenfalls nichts.
Dann schließt sich ein weiterer Raum an. Hier befindet sich ein multimediales Kunstobjekt. Ein Teppich in verschiedenen Grüntönen, der aussieht wie eine Landschaft, die von oben aus dem Flugzeug betrachtet wird, liegt auf einem Podest in der Mitte des Raumes. An die Wände werden verschiedene Tiere projiziert, hauptsächlich aber Schafe und dazu sind recht laut Tiergeräusche zu hören. Einem kleinen Schild entnehme ich, dass der Teppich in China gefertigt wurde. Ob er aus Wolle ist, konnte mir im Museum leider keiner sagen. Die Installation, so entnehme ich dem Begleittext, befasst sich mit der Textilindustrie und wirft dabei einen Blick auf Ethik, Gesellschaft und Umwelt. Dagegen ist nichts einzuwenden – außer in einer Ausstellung mit dem Titel „100 Prozent Wolle“, deren Anzahl an Ausstellungsobjekten sowieso sehr knapp bemessen ist.
Hätte ich Kinder im Kindergarten- oder Grundschul-Alter und mein Strickzeug und vielleicht noch eine Freundin zum Reden dabeigehabt, dann hätte es ein durchaus vergnüglicher Musems-Besuch werden können. Als ständiger Strick-Treff eignen sich die Museums-Räume leider nicht. Der Eintritt mit acht Euro wäre auch zu hoch. Dafür gibt es das Cafe, in dem sich Strickerinnen donnerstags nachmittags treffen. Als Pädagogin könnte ich mir vorstellen, mit Kindern einen halben Tag hier zu verbringen, um sie an das Thema Wolle heranzuführen. Wir könnten auf das große Schaf klettern und unterschiedliche Felle fühlen, mit der Strickliesel, Häkelnadeln oder Stricknadeln etwas ausprobieren, in der Jurte kuscheln oder Geschichten hören.
Ohne diese Voraussetzungen war die Reise nach Dahlem zumindest eine Erfahrung.